Digitaler ZwillingVC Blastprotect
Größte Versuchsreihe seit dem Zweiten Weltkrieg: Live-Sprengungen von Fliegerbomben
Was passiert, wenn eine Weltkriegsbombe explodiert? Nicht nur an der Oberfläche, sondern tief im Boden? Wie weit reicht die Zerstörung? Und wie lassen sich Evakuierungen präzise und so gering wie nötig planen, um Menschen bestmöglich zu schützen? Diesen Fragen ist das Projekt SchockAnalyst in einer bislang einmaligen Versuchskampagne nachgegangen:
Vom 12. bis 16. Mai 2025 fanden auf dem Gelände eines ehemaligen Munitionsdepots der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bei Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern groß angelegte Live-Sprengungen statt – unter wissenschaftlicher Begleitung mit modernster Messtechnik.
Auch 80 Jahre nach Kriegsende liegen in Deutschland noch Hunderttausende Blindgänger unter der Erde und das oft mitten in dicht besiedelten Städten. Wie groß die Gefahr tatsächlich ist, zeigt jede neue Entdeckung: Menschen müssen evakuiert, ganze Straßenzüge gesperrt, der Bahnverkehr unterbrochen werden. Besonders heikel wird es, wenn Krankenhäuser und kritische Infrastruktur in der Nähe sind. Doch wie genau lässt sich einschätzen, welche Bereiche tatsächlich gefährdet sind?
Bisherige Modelle konzentrieren sich auf die Auswirkungen von Druckwellen und Splitterflug. Noch wenig Erkenntnisse gab es zur Bewertung von Dämpfungsmaßnahmen und der Energie, die sich im Untergrund ausbreitet und auf Rohrleitungen, unterirdische Infrastruktur und Fundamente angrenzender Gebäude trifft.
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts wurden sechs kontrollierte Sprengungen mit 500-Pfund-Bomben durchgeführt. Das ist genau jener Bombentyp, der bei Funden in Deutschland besonders häufig vorkommt.
Die Detonationen fanden unter realitätsnahen Bedingungen statt: mit verschiedenen Dämpfungsmaßnahmen wie Sand und Wasser, kombiniert mit präziser Sensorik zur Messung von Druck-, Splitter- und insbesondere Bodenschockwellen.
Ziel war es, belastbare Daten zu gewinnen, die als Grundlage für die Weiterentwicklung von Simulationsmodellen dienen sollen.
Im Zentrum der Versuche steht die Weiterentwicklung der Simulationslösung VC BlastProtect, die von Virtual City Systems in enger Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Ernst-Mach-Institut (EMI) und dem Kampfmittelräumdienst NRW entwickelt wurde.
Drei zentrale Herausforderungen wurden adressiert:
- Validierung bestehender Modelle
Die Messergebnisse aus den Sprengversuchen wurden genutzt, um die in VC BlastProtect implementierten Berechnungen zu Druckwellen und Fragmentflug unter realen Bedingungen zu überprüfen und zu validieren. - Modulerweiterung für Bodenschockwellen
Auf Basis der neu gewonnenen Daten entsteht ein neues Simulationsmodul, mit dem sich künftig auch unterirdische Auswirkungen von Explosionen bewerten lassen – etwa auf Keller, Fundamente oder Versorgungsleitungen. - Abbildung von Dämpfungsmaßnahmen
Ein weiteres Ziel ist es, in VC BlastProtect auch dämpfende Maßnahmen – beispielsweise durch Wasser oder Sand – in der Gefährdungsanalyse berücksichtigen zu können. So lassen sich bereits vor Ort Maßnahmen zur Schadensminderung gezielt planen.
VC BlastProtect wird in der Praxis bereits von Kampfmittelräumdiensten und weiteren Experten als Entscheidungsunterstützungssystem eingesetzt und bietet eine Entscheidungsgrundlage auf Basis von physikalischen Modellen für realitätsnahe Evakuierungs- und Sicherheitskonzepte.
Bislang mussten im Zweifel ganze Straßenzüge evakuiert werden – oft auf Basis pauschaler Sicherheitsradien. Doch wie groß muss der Schutzbereich rund um eine Bombe tatsächlich sein?
Die verbesserten Simulationswerkzeuge ermöglichen künftig eine deutlich differenziertere Einschätzung der Gefahrenlage. Damit können Sperrkreise gezielter festgelegt, Evakuierungsmaßnahmen effizienter geplant und unnötige Einschränkungen vermieden werden. Das schützt nicht nur die Bevölkerung, sondern entlastet auch Einsatzkräfte und Behörden.
SchockAnalyst ist ein Gemeinschaftsprojekt unter der Leitung des Ministeriums des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, mit Partnern wie Virtual City Systems, dem Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik (EMI) sowie mehreren Landesräumdiensten. Gefördert wird es durch das BMBF im Rahmen des Programms „Anwender – Innovativ: Forschung für die zivile Sicherheit“.
Die Gefahr durch Blindgänger ist real und wird es auch in den kommenden Jahrzehnten bleiben. Doch mit moderner Technik und gezielter Forschung können wir den Umgang damit sicherer, effizienter und verantwortungsvoller gestalten. Die Ergebnisse von SchockAnalyst zeigen: Prävention beginnt mit Wissen – und präziser Simulation.
Erfahren Sie, wie VC BlastProtect Kampfmittelräumdienste und Behörden bei der präzisen Risikobewertung und Einsatzplanung unterstützt: Zur Produktseite von VC BlastProtect
Einblick in die Versuchswoche
Die Versuchswoche in Güstrow stieß auf reges Interesse – sowohl von offizieller Seite als auch aus Medien und Fachöffentlichkeit:
- Zum Auftakt besuchte der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel, das Gelände und informierte sich vor Ort über die Ziele und Methoden des Projekts. Auch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) war anwesend und drehte eine aktuelle Reportage über die Versuche. Der Beitrag ist hier verlinkt – ab Minute 08:48 geht es los.
- Auch der Lokalsender Güstrow TV hat einen spannenden Filmbeitrag produziert.
- Interessierte aus Forschung, Behörden und Industrie erhielten beim Besuchertag am Dienstag einen exklusiven Einblick in die Abläufe der kontrollierten Sprengungen – mit durchweg positiver Resonanz.
- Das Medieninteresse setzte sich im Lauf der Woche fort. Nach NDR und Güstrow TV war auch das Team von ARD Wissen vor Ort und drehte Material für einen längeren Beitrag zum Thema „Fliegerbomben – 80 Jahre nach dem Krieg“, der Stand jetzt am 4. August 2025 ausgestrahlt wird. Der Link folgt im August.
- Zum Abschluss fand am Freitag die spektakulärste Sprengung statt: Eine offene Detonation einer GP 500-Bombe in nur 25 Metern Entfernung zum Testgebäude. Der Versuch verlief planmäßig und bestätigte die vorherigen Simulationen. Die berechneten Gefährdungsradien waren konservativ und zutreffend – und sind damit ein wichtiger Beleg für die Praxistauglichkeit der entwickelten Modelle.
Fotos: Virtual City Systems